Der Angstmann by Frank Goldammer

Der Angstmann by Frank Goldammer

Autor:Frank Goldammer [Goldammer, Frank]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Kriminalroman
ISBN: 9783423430456
Herausgeber: dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
veröffentlicht: 2016-09-05T22:00:00+00:00


Heller schlug sich über Blasewitz bis nach Striesen durch und musste weite Umwege machen. Was sonst ein kurzer Spaziergang gewesen war, kostete ihn mehr als eine Stunde. Überall aus den Kellern krochen die Menschen auf die Straßen. Einige standen nur da, starrten fassungslos in das Inferno. Andere reagierten pragmatisch, begannen in den zerstörten Häusern nach Überlebenden zu graben. Einige Uniformierte gaben Kommandos, erste Tote wurden auf die Straße getragen, während andere versuchten, ihre Habe zu retten, und Kommoden, Geschirr oder Wäsche auf die Straße schleppten. Heller hetzte weiter, immer schneller, je näher er Gruna kam. Er vergaß den Schmerz in seinem Knöchel, ignorierte das Brennen in seinem Hals. Der Druck in seiner Brust wurde größer, sein Magen wurde zu einem Stein. Er versuchte, nicht daran zu denken, was er gesehen hatte. Versuchte, sich nicht auszumalen, was mit Karin geschehen sein konnte. Doch immer wieder sah er sie in Gedanken ersticken und verbrennen und immer schrie sie seinen Namen.

Als er sich über die Bergmannstraße der Schandauer Straße näherte, verlangsamten sich seine Schritte, bis er schließlich stehen blieb. Er brachte nur ein heiseres Stöhnen heraus. Alles das, was einmal sein Viertel gewesen war, war dem Erdboden gleichgemacht. Die Außenwände einiger Häuser standen noch, wie Kulissen in einem Theater. Der Feuersturm tobte hunderte Meter hoch, das Holz der Dachstühle glühte rot, Funkengarben sprühten wie Vulkanausbrüche. Eine Straßenbahn stand beinahe unversehrt auf der Kreuzung, doch es gab kein Gleis mehr, auf dem sie hätte fahren können.

Ein paar Menschen humpelten ihm entgegen. Niemand weinte, niemand schrie. Außer dem dumpfen Donner, welcher sich langsam entfernte, und dem Grollen der Feuer herrschte nun unheimliche Stille. Auch die Sirenen schwiegen. Heller verlor mit einem Mal jede Kraft in seinen Beinen. Er musste sich setzen. Zwei Rotkreuzhelferinnen eilten an ihm vorbei, beachteten ihn aber nicht. Wie er da saß, auf einem Stück Bordstein, das einen halben Meter aus dem Boden gerissen worden war, wurde auf einmal alles in ihm grau, die Geräusche waren ganz weit weg. Sein Blick trübte sich, als versuchten seine Augen ihn abzuschirmen, ihn zu schützen vor zu viel Elend und Trostlosigkeit. Er fühlte nichts mehr. Sein eigener Geruch stieg ihm nun in die Nase, das verbrannte Leder seiner Schuhe, die verschmorte Wolle, die abgesengten Haare. Blut, Fleisch, Staub, Angst, Tod.

»Max?«

Beinahe schüchtern hörte es sich an. Ungläubig. Heller sah auf. Karin stand vor ihm. Sie trug ihre Hausschuhe, den langen grauen Rock und eine halb verbrannte Strickjacke. Ihr Haar war staubgrau, ihre Gesicht schwarz von Ruß und ein Auge zugeschwollen. Langsam erhob er sich.

»Max?«, fragte sie noch einmal, als ob sie es nicht glauben konnte. Heller nickte stumm, nahm ihre Hand und strich mit seinem Daumen über ihren Handrücken. Dann berührte er ihr Gesicht, tastete vorsichtig über ihr Haar. »Max, ich musste … Ich kann gar nicht …« Sie verstummte. Denn es gab nicht genügend Worte, um zu beschreiben, was geschehen war.

Heller zog sie an sich und Karin presste ihr Gesicht in seine Halsbeuge.

Und so standen sie.



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